Aktuell Kalkabbau Wasser und Quellen

Umweltministerium NRW beantwortet die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Duldet die Landesregierung ein intransparentes Genehmigungsverfahren für den Kalkabbau“ am Teuto

Entscheidung bis Ende des Jahres 2021 - Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag NRW

Am 1.10.2021 hat der Landtagsabgeordnete Norwich Rüße die Landesregierung mit der Kleinen Anfrage 6009 „Duldet die Landesregierung ein intransparentes Genehmigungsverfahren für den
Kalkabbau in einem Natura 2000Gebiet im Teutoburger Wald?
“ um Beantwortung gebeten.

Mit der Drucksache 17/15479 vom 29.10.2021 liegt nun die Antwort der Landesregierung vor:


Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

Antwort

 

der Landesregierung

 

auf die Kleine Anfrage 6009 vom 1. Oktober 2021

des Abgeordneten Norwich Rüße   BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 17/15292

Duldet die Landesregierung ein intransparentes Genehmigungsverfahren für den Kalkabbau in einem Natura 2000-Gebiet im Teutoburger Wald?

Vorbemerkung der Kleinen Anfrage

Schon seit Jahrzehnten gerät der Naturschutz im Teutoburger Wald bei Lengerich und Lienen durch den Abbau von Kalkstein zunehmend unter Druck. Als im Jahre 1999 der Kalkabbau im damaligen Gebietsentwicklungsplan – Teilabschnitt Münsterland – neu dargestellt wurde, waren einige Flächen mit Natura-2000-Qualität nicht gemeldet worden, mit der Folge, dass der darauf ehemals bodenständige und schutzwürdige Waldmeister-Buchenwald mittlerweile in großen Teilen und unwiederbringlich zerstört wurde. Den mit Nachdruck vorgetragenen Forderungen der Kalkindustrie nach weiteren Vorratsflächen wurde zwar durch die Regionalplanung noch nicht entsprochen, jedoch wurde in den Teilplan Kalk von 2018 ein „Schlupfloch“ aufgenommen. Dies geschah mit der Aufnahme des Ziels, dass weitere Abgrabungsvorhaben unterhalb von 10 ha ausnahmsweise auch außerhalb der Bereiche zur Sicherung und zum Abbau oberflächennaher Rohstoffe zulässig sind, wenn es sich um die Erweiterung einer bestehenden Abgrabung handelt. Allerdings – so die Zielformulierung – dürfen konkurrierende Ziele der Raumordnung dem Vorhaben nicht entgegenstehen. (Regionalplan Münsterland, Sachlicher Teilplan Kalkstein, Stand: 24.10.2018, S. 5). Schon im Folgejahr berief sich das Unternehmen Calcis in Lienen auf diese „Ausnahme“ – welche gelegentlich auch als „Lex Calcis“ bezeichnet wird – und beantragte die Erweiterung ihres Steinbruchs um 9,9 Hektar. (s.: Amtsblatt der Bezirksregierung Münster, S. 353, Bekanntmachung vom 07.11.20191).                                                              

Nachdem der Erörterungstermin im BImSchG-Verfahren stattgefunden hatte und inzwischen die übliche und gesetzlich vorgesehene Verfahrensdauer deutlich überschritten wurde, ist nicht absehbar, wann die Entscheidung der Genehmigungsbehörde fallen wird. Dabei steht auch die Frage im Raum, ob das beantragende Unternehmen noch genehmigte Abbauvorräte haben kann. Bereits während des Erörterungstermins im August 2020 wurde die Frage aufgeworfen, ob vor dem Hintergrund der Abbauprognose „bis 2017″ im Rahmen der Genehmigung aus dem Jahre 1998 noch rechtmäßig Kalkstein abgegraben werden könne. Das Unternehmen Calcis weigerte sich jedoch, die entsprechenden Daten offenzulegen und berief sich dabei auf „ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis“. (s. Wortprotokoll des Erörterungstermins gemäß § 10 Absatz 3 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) am 25. und 26.08.2020 in der Gempt-Halle in Lengerich, S. 42).

Es gibt mehrfache Hinweise darauf, dass der Genehmigung des Antrags konkurrierende Ziele der Raumordnung tatsächlich entgegenstehen könnten. Es gibt allerdings keine aktuellen Informationen für die Öffentlichkeit und die Verfahrensbeteiligten, welche Transparenz darüber schaffen könnten, warum die Behörde nicht entscheidet und wieviel Zeit dafür ggf. noch benötigt wird. Naheliegend wäre es anzunehmen, dass in Folge der Erheblichkeit des beantragten Eingriffs die Integrität des Natura 2000-Gebietes gefährdet ist und Arten von gemeinschaftlichem Interesse betroffen sein könnten und das in einem Ausmaß, so dass eine Kompensation nicht zu leisten ist.

Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 6009 mit Schreiben vom 28.10.2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die Beantwortung der Fragen basiert auf einem umfassenden Bericht der Bezirksregierung Münster vom 08.10.2021.

  1. Welche Gründe haben dazu geführt, dass über das laufende Genehmigungsverfahren noch nicht entschieden wurde? (Bitte im Einzelnen benennen und begründen).

Zur Beantwortung dieser Fragestellung wird eine Übersicht über die Chronologie des bisherigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens gegeben: 

Nach Eingang des Antrages vom 18.10.2019 bestätigte die Bezirksregierung Münster als Genehmigungsbehörde der Antragstellerin mit Schreiben vom 17.11.2019 die Vollständigkeit des o.g. Antrags und der einzureichenden Unterlagen. 

Zunächst hatte die Bezirksregierung Münster den Erörterungstermin zu dem Verfahren für den 24. und 25.03.2020 angesetzt. Aufgrund der pandemischen Lage und den damit verbundenen Kontaktbeschränkungen wurde der Erörterungstermin zunächst auf den 22.06.2020 und später aufgrund der weiterhin angespannten Infektionslage auf den 25.08.2020 verschoben und am 25. und 26.08.2020 durchgeführt.

Im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange und den Beiträgen aus dem Erörterungstermin hatten sich weitere verfahrensrelevante Fragestellungen ergeben. So mussten habitatschutzrechtliche Anforderungen im Zusammenhang mit dem Großen Mausohr beurteilt werden. 

Die Fragestellung, ob die von der Antragstellerin durchgeführten Waldumbaumaßnahmen dazu beitragen können, dass die Gebietsbeeinträchtigungen durch die Steinbrucherweiterung unterhalb der Schwelle der Erheblichkeit nach § 34 Abs.2 Bundesnaturschutzgesetz (BnatSchG) bleiben und somit als Schadensbegrenzungsmaßnahmen anzusehen sind, wurde vom Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MULNV) abschlägig beurteilt. Vielmehr sind die Wiederanlage oder Wiederherstellung von Lebensräumen als Kohärenzsicherungsmaßnahmen einzustufen, die zudem erst im Rahmen einer Abweichungsprüfung berücksichtigt werden können.

Im Rahmen einer dann möglichen Abweichungsprüfung darf ein Projekt nur zugelassen werden, soweit es – neben weiteren Voraussetzungen – aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, notwendig ist. Falls prioritäre Lebensraumtypen betroffen sind, können soziale oder wirtschaftliche Gründe nur berücksichtigt werden, wenn eine Stellungnahme der Europäischen Kommission eingeholt wird. 

Der Antragstellerin wurde daher am 21.10.2020 durch die Genehmigungsbehörde mitgeteilt, dass für die Ausnahmeprüfung die bisherige Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie-Verträglichkeitsprüfung um eine Unterlage zur Abweichungsprüfung zu ergänzen ist. Gegenüber der Genehmigungsbehörde hatte die Antragstellerin in einer Besprechung am 05.11.2020 erklärt, dass sie das Verfahren fortsetzen und Unterlagen für die Abweichungsprüfung gem. § 34 Abs. 3 und 5 BNatSchG einreichen würde.

Um der Antragstellerin zu ermöglichen, ein Abweichungsverfahren zu beantragen, hatte die Genehmigungsbehörde am 23.12.2020 die Frist zur Entscheidung über den Antrag gem. § 10 Abs. 6a Satz 2 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) bis zum 17.05.2021 verlängert. Mit Schreiben vom 09.06.2021 wurde die Antragstellerin aufgefordert, die Antragsunterlagen nunmehr bis spätestens zum 07.07.2021 zu ergänzen.

Am 10.06.2021 hatte die Antragstellerin der Genehmigungsbehörde mitgeteilt, dass sie diese Frist nicht einhalten könne und um eine angemessene Fristverlängerung mindestens bis zum Jahresende gebeten. Als Gründe wurden angeführt, dass die Abweichungsprüfung auf die erhaltungszielbestimmende Art „Großes Mausohr“ ausgedehnt werden müsse und zudem die Maßnahmenplanung noch nicht abgeschlossen sei. Darüber hinaus stünden noch nicht alle in den landschaftspflegerischen Begleitplan aufzunehmenden Maßnahmen fest. Grund dafür seien die andauernden Verhandlungen zur Beschaffung geeigneter Flächen. Ein Abschluss der Verhandlungen wurde für den Herbst 2021 in Aussicht gestellt.

Daraufhin hatte die Bezirksregierung Münster nochmals eine Fristverlängerung zur Ergänzung der Antragsunterlagen bis zum 31.12.2021 gewährt. Bei der Entscheidung wurde insbesondere berücksichtigt, dass die Konfliktlage hinsichtlich eines adäquaten Habitats für das Große Mausohr erst im Laufe des anhängigen Genehmigungsverfahrens entstanden ist. Die Gründe dafür, insbesondere der großflächige Verlust der als Habitat dienenden Waldflächen aufgrund von Trockenheit in den Jahren 2018 und 2019 sowie der in diesen Jahren aufgetretenen Borkenkäferkalamität, lagen nicht in der Verantwortungssphäre der Antragstellerin. 

Daher hielt die Bezirksregierung Münster ausnahmsweise, abweichend vom Regelfall, eine Verlängerung der Frist zur Ergänzung der Antragsunterlagen bis zum Jahresende für angemessen aber auch ausreichend. Gegenüber der Antragstellerin wurde angekündigt, den Antrag abzulehnen, sollte diese der Aufforderung zur Antragsergänzung nicht fristgerecht nachkommen.

 

  1. Wann soll über den Genehmigungsantrag entschieden werden? (In der Antwort bitte den genauen Zeitpunkt angeben).

Wie unter 1. angeführt, hat die Bezirksregierung Münster eine Frist zur Vorlage der geforderten Unterlagen gesetzt und angekündigt, den Antrag abzulehnen, wenn die Unterlagen nicht fristgerecht zum 31.12.2021 vorgelegt werden oder einem möglichen weiteren Antrag auf Fristverlängerung nicht zugestimmt werden kann.

Der Bezirksregierung liegen wie in der Antwort zu Frage 1 dargestellt, die ergänzenden Antragsunterlagen noch nicht vor. Daher kann kein Zeitpunkt benannt werden, zu dem über den Antrag entschieden werden kann. 

  1. Wann werden die Verfahrensbeteiligten so in den weiteren Verfahrensverlauf einbezogen, dass sie ihre Rechte wahrnehmen können? (Bitte den Zeitpunkt und die Verfahrensschritte benennen).

Wie bisher werden auch im weiteren Verfahrensfortgang die Träger öffentlicher Belange und die Öffentlichkeit entsprechend der gesetzlichen Anforderungen beteiligt. Eine Wahrung der Rechte der Verfahrensbeteiligten wird sichergestellt.

Die Genehmigungsbehörde wird die Frage der weiteren erforderlichen Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung nach Eingang der Antragsergänzungen gem. den Anforderungen der 9. Verordnung zum BImSchG (BImSchV) prüfen.

Unabhängig davon besteht für jede Person die Möglichkeit, Umweltinformationen nach dem Umweltinformationsgesetzes NRW bei der Genehmigungsbehörde abzufragen.

Ich weise darauf hin, dass im Rahmen eines bereits erfolgten entsprechenden Antrags durch die Bezirksregierung Münster umfassende Auskünfte erteilt wurden und Frau Regierungspräsidentin Feller in verschiedenen Gesprächen, z. B. mit Mitgliedern des Regionalrats, über den Sachstand im Genehmigungsverfahren informiert hat.

  1. Welche Mengen an genehmigten Abbauvorräten sind im Steinbruch Lienen der Firma Calcis – entgegen der Abbauprognose („bis 2017″, s.o.) – noch vorhanden? Bitte dabei auch den Abbauzeitraum angeben.

Der Landesregierung liegen hierzu keine Angaben vor. In dem Erörterungstermin vom 25. bis 26.08.2020 wurde diese Fragestellung bereits durch die Einwender an die Antragstellerin herangetragen. Die Antragstellerin berief sich hier auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und machte daher zu der Fragestellung keine konkreten Angaben. 

Des Weiteren wurde die bisherige Steinbruchgenehmigung ohne Befristung erteilt, so dass der immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbescheid kein Abbauende beinhaltet.

  1. Wird dem Unternehmen Calcis Lienen GmbH & Co. KG zur dortigen Verarbeitung roher Kalkstein aus anderen Steinbrüchen zugeführt, um den Betrieb aufrechtzuerhalten? (Wenn ja, bitte die Mengen der letzten 5 Jahre und deren Herkunft angeben.)

Dem Unternehmen Calcis Lienen GmbH & Co. KG wird roher Kalkstein aus anderen Werken zugeführt. Bezüglich der Mengen – und Herkunftsangaben hat das Unternehmen Calcis Lienen GmbH & Co. KG einer Herausgabe der Daten unter Berufung auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse widersprochen.

Über die Anfrage sowie die Antwort der Landesregierung berichteten die Westfälischen Nachrichten in ihren Print- und Online-Ausgaben vom 04./05.10.21 und vom 08./09.11.2021.